Programm des Landesverbandes Baden-Württemberg der DVPB

Stand: 27.11.2020

Ziele und Positionen

In Übereinstimmung mit den in unserer Satzung genannten Vereinszielen und den Positionen der DVPB möchten wir die Bildungspolitik des Landes kritisch begleiten, politische Bildung in allen Formen stärken und die Vernetzung der im Feld aktiven Akteur*innen vorantreiben. Dafür möchten wir mit relevanten Partner*innen aus Schule, Wissenschaft, Politik und außerschulischer Bildung zusammenarbeiten, auf die in unserem Landesverband vertretene Expertise zurückgreifen und diese durch Veröffentlichungen und Veranstaltungen weitergeben.

Politische Bildung ist eine notwendige Voraussetzung für partizipatorische Demokratie. Die zentrale Aufgabe einer derartigen Bildung besteht in der Motivierung und Befähigung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, ihre Sichtweisen und Interessen zu artikulieren und an der politischen Willensbildung bzw. an politischen Entscheidungen mitzuwirken. Dieser Bildungsauftrag ist auch in der Landesverfassung Baden-Württmbergs verankert (Artikel 12 und 21). 

Als gesellschaftliche Allgemeinbildung ist politische Bildung sozialwissenschaftlich auszurichten, denn nur so können politische, wirtschaftliche, soziale und ethische Zusammenhänge in einer hochkomplexen digitalisierten Welt erkannt, beurteilt und bewertet werden.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung in unserer Gesellschaft wächst die Bedeutung der digitalen Räume. Ein besonders wichtiges Ziel der politischen Bildung ist deshalb die digitale Mündigkeit, d.h die Fähigkeit von Menschen zum konstruktiven und verantwortungsbewußten Umgang mit digitalen Räumen.
Als Landesverband legen wir unseren Fokus insbesondere auf die folgenden Aufgabenfelder:


1. Stärkung der politischen Bildung in der Grundschule

Politisches Lernen benötigt bereits in der Grundschule eine feste Verankerung. Grundschüler*innen lernen von Beginn an an ausgewählten Entscheidungen zu partizipieren und sind in die Gestaltung ihres Schulalltags miteinbezogen. 

Genuiner Ort der fachlichen politischen Bildung in der Grundschule ist der Sachunterricht. Die Auseinandersetzung mit den Sachen ist dabei keineswegs auf naturwissenschaftliche Gegenstände begrenzt, sondern umfasst stets auch ein Welterfassen und Sich-in-Beziehung-Setzen, zum Beispiel durch die Auseinandersetzung mit grundlegenden politischen Themen wie Gerechtigkeit, Gesellschaft und Demokratie. Sowohl im “Perspektivrahmen Sachunterricht” der Fachgesellschaft für die Didaktik der Sachunterrichts GDSU als auch im Bildungsplan Sachunterricht BW und dem Leitfaden Demokratiebildung BW wird politisches Lernen als fester Bestandteil des Sachunterrichts beschrieben. Wir setzen uns deshalb dafür ein, die Bedeutung politischer Bildung in der Lehrer*innenaus- und Weiterbildung, der Schulpraxis und Lehrplangestaltung zu stärken.
Um politische Bildung und Demokratiebildung an Grundschulen im angemessenen Maße anbieten zu können, bedarf es neben einer fundierten Ausbildung der Lehrkräfte auch einer ausreichenden Ressourcenausstattung.


2. Stärkung der politischen Bildung in den Sekundarstufen

Ein wesentliches Ziel der politischen Bildung ist es, junge Menschen zu einem selbstbestimmten Leben in unserer Gesellschaft und zur aktiven Mitgestaltung unserer Demokratie zu befähigen. Das in Artikel 21 der Landesverfassung konkret verankerte Schulfach Gemeinschaftskunde besitzt in dieser Hinsicht einen besonderen Stellenwert. Die Erziehung zur Mündigkeit ist ein Kernauftrag der Schulen.

Die Politische Bildung in der Sekundarstufe 1 beginnt zu spät. Um den Bildungsauftrag von Schule zu erfüllen, fordern wir, dass Politische Bildung ab der fünften Jahrgangsstufe in allen Schulen im Umfang von mindestens zwei Wochenstunden unterrichtet wird.

Wir setzen unsere Initiativen der letzten Jahre fort, um die Politische Bildung in den Sekundarstufen zu stärken. Wir begleiten deshalb die Erstellung neuer Bildungspläne und Bildungsreformen kritisch, um sicherzustellen, dass Schüler*innen eine zeitgemäße und umfangreiche politische Bildung erhalten. 

Wirtschaftliche Fragen und Probleme dürfen nicht der politischen Analyse, Reflexion und Urteilsbildung der Schüler*innen entzogen werden. Genau das impliziert aber die 2016 beschlossene Auslagerung ökonomischer Themen aus dem Gemeinschaftskunde- und Geographieunterricht in ein vorrangig ökonomisch orientiertes Schulfachfach Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS). Wir fordern eine multiperspektivisch ausgerichtete, ökonomische Allgemeinbildung in den bisherigen Ankerfächern Gemeinschaftskunde und Geographie (unter Verzicht auf das Schulfach WBS). Dadurch wird den Schüler*innen Wirtschaft als ein gesellschaftliches Subsystem vermittelt, dessen Normen, Institutionen und Regeln von Menschen geschaffen werden und welches fortwährend, basierend auf politischen und ethischen Grundwerten, einem gesellschaftlichen Gestaltungsprozess unterliegt. Die DVPB versteht sichals Interessenverband einer ökonomischen Bildung, die der Mündigkeit von Bürgerinnen und Bürgern dient. Ökonomische Denkkategorien dürfen nie die vorrangige Basis von Werturteilen sein.

In der gymnasialen Kursstufe fehlen Unterrichtsstunden für die politische Bildung. Zwei Pflichtwochenstunden Gemeinschaftskunde im ersten Halbjahr und zwei im zeitlich deutlich kürzeren vierten Halbjahr der Kursstufe reichen nicht aus. Für die Kursstufe fordern wir einen durchgehenden Unterricht in den Basisfächern Gemeinschaftskunde und Geographie. Bei der Wahl der drei Leistungskurse fordern wir die Gleichstellung der gesellschaftswissenschaftlichen Fächer mit den Fremdsprachen und Naturwissenschaften.

3. Stärkung der außerschulischen politischen Bildung

Die außerschulische politische Bildung leistet einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung von Jugendlichen und Erwachsenen. Wir wehren uns gegen Angriffe auf außerschulische politische Bildung, die unter dem Druck rechtspopulistischer Gruppierungen die staatliche Förderung sinnvoller Projekte unter Verweis auf ein falsch verstandenes Neutralitätsgebot einschränken. Das Feld der außerschulischen politischen Bildung lebt von seiner Diversität und der Vielfalt der Anbieter*innen. Diese sind zu stärken, nicht durch Angriffe auf die Gemeinnützigkeit, geheimdienstliche Überprüfungen auf “Verfassungstreue” oder andere Maßnahmen in ihrer Arbeit einzuschränken. Daher fordern wir einen Ausbau der Regelförderung außerschulischer politischer Bildung im Rahmen des Kinder- und Jugendplans des Bundes.

4. Stärkung der politischen Bildung innerhalb der Lehrer*innenbildung

Wir begrüßen den vom Land verabschiedeten Leitfaden Demokratiebildung als einen Schritt in die richtige Richtung. Damit aber alle Lehrer*innen in ihren Fächern tatsächlich politisch bildend wirken können, bedarf es eines Ausbaus der politischen Bildung in der Lehrer:innenbildung. Nur politisch gebildete Lehrer*innen können auch selbst politisch bilden. Die in der Rahmenvorgabenverordnung für Lehramtsstudiengänge erwähnten politikwissenschaftlichen Inhalte im bildungswissenschaftlichen Teil des Lehramtsstudiums sollten an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen durch das Anbieten verpflichtender spezifischer politikwissenschaftlicher und didaktischer Kurse für die Studierenden aller Fächer gestärkt werden. Thematisiert werden müssen in der Lehrer*innenbildung auf diese Weise auch Formen von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Ableismus, die für das Lehrer*innenhandeln relevant sind. Auch zur adäquaten Thematisierung der in den Bildungsplänen festgeschriebenen Leitperspektiven (wie Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt) ist eine breitere Aufstellung politischer Bildung in der Lehrer*innenbildung von Nöten. Insbesondere an den Universitäten, wo es in Baden-Württemberg keine Professuren für die Didaktik der Politik gibt, müssen zu diesem Zweck feste Stellen geschaffen und besetzt werden, die auch die politikdidaktische Forschung stärken.

Für die Ausbildung von Gemeinschaftskundelehrer*innen fordern wir die Schaffung eines Lehramtsstudienganges “Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“. Die Beendigung des früheren bidisziplinären Lehramtsstudiengangs “Politikwissenschaft/Wirtschaftswissenschaften“ (Kombifach, bei dem wirtschafts- und politikdidaktische Perspektiven vermittelt werden) war ein befremdlicherFehler. Ein mehrperspektivisch ausgerichtetes Lehramtsstudium wird den vielseitigen Anforderungen an Gemeinschaftskundelehrer*innen in weit besserem Maß gerecht, als vorrangig politikwissenschaftlichausgerichtete Lehramtsstudiengänge dazu in der Lage sind.

 

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Stand: 28. August 2023